Erfahrungsbericht – Als Radfahrer in Kopenhagen

Während eines verlängerten Wochenendes hatte ich die Gelegenheit, mir die Situation der vielerorts in den Himmel gelobten Fahrradwege in Kopenhagen selbst anzusehen und auf „Herz und Nieren“ zu prüfen.

Meine Anreise erfolgte an einem Freitag Nachmittag und endete an einem Sonntag.

Demnach – so muss ich fairer Weise zugeben – stand mir nur eine sehr kurze Zeitspanne für eine fundierte Analyse zur Verfügung.
Obendrein noch an verkehrstechnisch untypischen Tagen. Nichtsdestotrotz konnte ich teilweise spektakuläre Beobachtungen machen und komme zu einem positiven, wenn auch anders als ursprünglich erwarteten Resümee.

Ich riss in der Innenstadt viele Kilometer per Velo ab und befuhr auch den renommierten C99 Fahrradschnellweg, welcher auf 17,5 km Albertslund mit Kopenhagens Zentrum verbindet.

Vorweg noch ein paar Details zu Dänemark im Generellen:
Dänemark lässt sich wirtschaftlich nichts von Deutschland vormachen.
In allen wichtigen Indizes spielt Dänemark international bei den ganz großen Jungs mit, wie man aus dem Zahlenmaterial unten entnehmen kann.
Allerdings gibt es einen eklatanten Unterschied bei den Kennzahl zu Autos pro 1000 Einwohner.
Während Dänemark 389 Autos pro 1000 Einwohner ausweist, gibt es in Deutschland 517 Autos.
Zudem ist der dänische Fuhrpark im Durchschnitt um fast ein Jahr älter.

Wer in Kopenhagen unterwegs ist, dem fällt sofort auf: Hier wird was für die Radfahrer getan!
Es gibt extra breite Fahrradwege, fast schon übertrieben auffällige blaue Markierungen der Radwege im Kreuzungsbereich und Mehrfachbeampelung (auf Höhe der Haltelinie eine und auf der anderen Seite der Kreuzung eine weitere)

Auch gibt es einige nette Luxusfeatures wie den Ampelphasenanzeiger einige 100 Meter vor der Ampel. Hiervon habe ich auf einem acht Kilometer langen Teilstück der C99 allerdings nur einen bemerkt.
Nett sind auch die Abstützhilfen für Radfahrer, falls sie an roten Ampeln halten müssen.
Von diesen gab es ein paar mehr, aber auch nicht an jeder Ampel.

Die angebliche grüne Ampelphase für Radfahrer bei 20 Km/H konnte ich auch nicht nachvollziehen, was aber auf einen Testfehler meinerseits zurückzuführen sein könnte.

Doch die Liste der Radfahrerboni geht noch weiter.
Im Angebot wäre da noch die vom Reiseführer „Lonely Planet“ als bestes kostenloses europäisches Schmankerl angepriesenen Kostenlosleihräder.
Der Ansatz ist nicht schlecht: Wie man es aus anderen europäischen Städten kennt, handelt es sich dabei um ein handelsübliches Leihfahrradsystem mit einem entscheidenden Unterschied. Das Fahrrad kann wie ein Supermarkteinkaufswagen gegen Münzpfand von 20 dänischen Kronen, oder etwa 3 Euro unbegrenzt lange ausgeliehen werden. Das ist in der Tat sehr großzügig, zumal ähnliche Räder im dänischen Fahrradeinzelhandel pro Tag mit einer Leihgebühr von gut und gerne 15 Euro belegt werden.

Nachteil dieses Systems ist jedoch die mangelhafte Verfügbarkeit dieser Räder. Man muss schon sehr lange suchen, um eines zu finden, und wenn man dann erst eines hat, gibt man es auch nicht gerne wieder her.
Auch die Suche nach einer Abgabestation ist nicht leicht. Die Stationen sind unauffällig und in der Masse der Räder, die überall in den Straßen geparkt sind, gehen sie unter.
Durch die letzten beiden Punkte wird die Abgabebereitschaft weiter gesenkt, so dass ein Teufelskreis entsteht.
Besser gefiel mir das System in Lyon, wo man sich direkt an der Ausleihstation mit Kreditkarte anmelden konnte und dann die erste halbe Stunde kostenlos die hochwertigen Räder fahren konnte.

Ein weiterer Punkt auf der Luxusliste wäre ein zentral angebrachter Radfahrerzähler mit Tages- und Jahresangabe der vorbeigefahrenen Radler. Am Standort wird scheinbar nicht direkt gezählt, da bei einer kurzen Beobachtung, während welcher bestimmt 4 Radfahrer vorbeifuhren, der Zähler nur um eins nach oben ging. An anderer Stelle meinte ich allerdings Radfahrerkontaktschleifen im Boden erkannt zu haben. Die Zahlen dürften also akkurat sein.

Ein wirklich sinnvolles Ausstattungsmerkmal der C99 sind die Wegweiser. Man kennt dies vielleicht in Deutschland von den grünen für Freizeitradwege gedachten Hinweisschildern. Gut, in Dänemark auf der C99 werden sie als ernsthafte blaue Verkehrsschilder genutzt und es gibt genau wie für den Kfz Verkehr Schilder mit Entfernungsangaben.
Dies senkt die Hemmschwelle für Leute, die sich nicht gut in der Umgebung auskennen, aber trotzdem mal das Fahrrad in die Stadt nehmen wollen.

Gut gedacht aber schlecht gemacht sind die Fahrradpumpen, die alle Kilometer entlang der C99 stehen sollten. Die einzige, die mir auf Weg ins Auge fiel, war ohne Funktion, da der Schlauch fehlte.

Verkehrsberuhigungsschwellen mit Aussparungen für Radfahrer fand ich auch innovativ.

Resümee:

Wie der geneigte Leser vielleicht schon erkannt haben wird, fand ich die durchgeführten Maßnahmen in Kopenhagen durchaus befürwortenswert. Gewiss haben die aufgezählten Luxusfeatures keinen direkten Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Sie dienen aber sehr wohl dazu, anderen Verkehrsteilnehmern die Existenz der Radfahrer vor Augen zu führen. Zudem schaffen sie beim Radfahrer ein Gefühl der Anerkennung und Wertschätzung – ein nicht zu verachtender Punkt. So hat es Kopenhagen auf einen Radfahreranteil von 36% (Berlin 12%) am Gesamtverkehrsaufkommen gebracht.

Damit kann man es schaffen, noch mehr Radfahrer zu mobilisieren und am Ende wird es dann für die Radfahrer indirekt doch sicherer. Es greift die Regel: „Je mehr Radfahrer unterwegs sind, desto sicherer wird es für jeden einzelnen.“ Quelle

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch der Vergleich des Indikators „Verkehrstote pro 100.000 Einwohner“. Was hier verwundert ist, dass Dänemark (5,5 Tote) schlechter als Deutschland (5,1 Tote) dasteht – und dies trotz geringer Autogesamtzahl.

Es wäre interessant, dieser Sache auf den Grund zu gehen. Dies insbesondere, zumal in den Niederlanden, der weltweit grössten Radfahrernation (sowohl Fahrradbesitz, als auch durchschnittliche Fahrtstrecke) diese Kennzahl bei nur 4,4 liegt. Quelle

28.08.2015:
Ein kleines Update. Der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr in Kopenhagen ist weiter gestiegen.
2014 lag er bei 45%, wobei für dieses Jahr ein Anteil von 50% geplant ist.
Einen Bericht über die aktuelle (Rad-)Verkehrslage in Kopenhagen gibt es bei der Basler Zeitung:
Die Stadt, in der die Velos regieren

Allzeit gute Radfahrt!

Weitere Zahlen Dänemarks im Vergleich zu Deutschland in der Übersicht
Brutto Inlands Produkt pro Kopf: Platz 7 (Deutschland 20) Quelle
Happy Planet Index: In Europa Platz 6 (Deutschland 15) Quelle
Human Development Index: Platz 16 (Deutschland 9) Quelle

Autos pro 1000 Einwohner
Dänemark: 389 (in 2004: 428 Autos) Autos pro 1000 Einwohner (Deutschland 517) Quelle

Durchschnittsalter PKW
Dänemark: 9,3 (Deutschland: 8,5 Jahre) Quelle

Fahrräder:
Dänemark: 801 pro 1000 Einwohner (Deutschland 758) – Quelle entfernt, da ungültig geworden

3 Gedanken zu „Erfahrungsbericht – Als Radfahrer in Kopenhagen“

  1. Sauber recherchiert, Sportsfreund!
    Ja, wir in Berlin stehen im Vergleich gar nicht so schlecht dar. Würd mir aber auch diese schicken Radfahrer Fußständer an den Ampeln wünschen. Man kann hie und da ein Gelender dazu entfremden. Aber davon gibts nicht genug.
    In Berlin ist das Problem besonders viele Radwege sind auf dem Bürgersteig (Hochbordstein) – recht gefährlich im Vergleich zu den Radwegen auf der Strasse.
    Schöne Fotos zur Situation der Radler in Kopenhagen!
    Besonders der Fahrradparkplatz mit den netten Damen hat mir gut gefallen. 😉

  2. super beitrag
    mein glueckwunsch

    besonders gut ist die zusammenfassung der zahlen am ende
    wer haette gedacht, das die daenen im vergleich mit uns weniger autos fahren
    und 36% radfahreranteil gibts in D niergends

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